Corona ade - Weichsel-Wanderfahrt in Zeiten der Pandemie

| Wanderrudern

Die erste Wanderfahrt dieses Jahres führte zwei RaB-Ruderer nach Polen auf die Weichsel.

Bericht und Fotos von Stephan von Petersdorff und Helmut Janus 

Die Weichsel ist der längste Fluss Polens und der einzige noch weitestgehend naturbelassene größere Fluss Europas. Im unteren Verlauf fließt er durch eine von Wiesen, Feldern und Wald geprägte Ebene, bis er bei Danzig in die Ostsee mündet. Die 6-Tage-Tour über 240km von Toruń (deutsch: Thorn) nach Gdańsk (Danzig) war die erste post-pandemische Wanderfahrt des Jahres, perfekt organisiert von Łukasz Kaczmarek, Ruderer aus Posen und bewährter Veranstalter von Wanderfahrten. Inzidenzen deutlich unter 50, keine Kontrollen mehr an der Grenze, Außen-, später auch Innengastronomie geöffnet - in der frischen Luft und bei ohnehin auf die (frisch negativ getestete) Rudergruppe beschränkten Kontakten bestand keine reale Ansteckungsgefahr. Dennoch waren nach fast 20 Absagen bis kurz vor dem Start nur die Mindestzahl von 9 Ruderern und Ruderinnen aus Hamburg, Berlin und Wertheim/Main übriggeblieben. Diese stellten sich alle als äußerst nette und erfahrene Mitruderer heraus. Von den ursprünglich zehn angemeldeten Teilnehmern des RaB reisten am Ende nur noch die beiden Autoren nach Polen. Sehr schade, denn es war eine wunderbare Wanderfahrt. Eine hochattraktive Kombi aus Sport, Geschichte und Kultur. Łukasz wurde nicht müde, uns alles zu erzählen, zu zeigen und zu erklären. Immer wieder angereichert durch Stadt-  und Museumsführungen. Die deftige, nicht gerade fleischarme polnische Küche eingeschlossen, deren Speisenfolge stets mit einer Suppe beginnt und nicht selten mit Wodka endet.

Deutschordenstaat, Westpreußen, Pommern - verschiedene Bezeichnungen spiegeln die wechselvolle Geschichte des Landstrichs wider, durch den wir gerudert sind. In zwei Vierern mit Steuerplatz ging es vorbei an den mittelalterlichen Städten Kulm, Graudenz, Mewe und Dierschau, deren Bausubstanz von Backstein dominiert wird und - wenn nicht sogar nach Hunderten von Jahren noch erhalten - meisterhaft ergänzt und wiederaufgebaut ist: Burgen, Türme (Bergfried), Speicherbauten, Brücken, Stadtmauern und ungezählte, teils gigantische Kirchen. Erster Höhepunkt war die lebhafte Uni-Stadt Thorn, Geburtsstadt des Astrologen, Arzt und Universal-Gelehrten Nikolaus Kopernikus und mit einer fast vollständig erhaltenen Altstadt heute Weltkulturerbe. Thorn war die erste einer Reihe von Stadtgründungen durch die Ritter des Deutschen Ordens, die nach der Vertreibung aus dem Heiligen Land im 13. Jahrhundert mit Schwert und Fahne das Christentum verbreiteten und entlang der Weichsel einen blühenden Handel aufbauten. Nach der Vertreibung der Ordensritter und weiteren Jahrhunderten unter dem polnischen Königreich waren es nach der Teilung Polens 1795 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vornehmlich die Preußen, die dort repräsentative Herrenhäuser erbauten, im nunmehr beginnenden Maschinenzeitalter Industrieunternehmen gründeten und hierfür ein Verkehrsnetz zu Wasser, zu Land und auf der Schiene anlegten. Die baulichen Spuren auch dieser Epoche sind noch überall zu finden: prachtvolle Postämter, Bahnhöfe, Fabrikgebäude. In Ostromecko bei Bromberg übernachteten wir in einem von dem bekannten Architekten Karl Friedrich Schinkel entworfenen Herrenhaus. Eingerichtet im Stil der 1920er Jahre und mit Blick in einen von dem nicht minder berühmten Landschaftsgestalter Peter Joseph Lenné angelegten Park. Neben dem Hotelbetrieb gibt es hier noch ein Museum mit alten Klavieren und anderen Musikinstrumenten.

In all den Tagen auf der Weichsel sind wir nicht einem einzigen Boot begegnet. Eine fast unwirkliche Ruhe und Einsamkeit. So mancher Reiher und Storch hat sich gewiss über unsere Kreuzfahrt von Ufer zu Ufer gewundert. Der Fluss, der zu Zeiten des Handelsverbunds der Deutschen Hanse der wohl am meisten frequentierte Flusslauf Europas gewesen war, ist heute versandet und mit einer maximalen Tiefe von meist nur zwei Metern längst nicht mehr schiffbar. Bei normalem Wasserstand weisen Schilder an den Ufern dem Ruderer den Weg durch die mäandernden Sandbänke. Während unserer Fahrt herrschte allerdings schnell strömendes Hochwasser, das die Boote hin- und herwarf, wenn es mit einer Handbreit Wasser unterm Kiel ein ums andere Mal über eine Sandbank ging. Bei diesem Wasserstand hat die Weichsel mitunter die Breite des Rheins.

Ein Höhepunkt unter vielen war ein spontanes 1000m-Rennen auf der Regattastrecke von Bromberg, die mit einem permanent installierten Albano-System ausgerüstet ist. Hierzu mussten wir durch eine Schleuse auf die Brahe, einen Nebenfluss der Weichsel, fahren. Die Ziellinie endet kaum mehr als eine halsbrecherische Achterlänge vor der Kaimauer. Auf dem letzten Stück einer Tagesstrecke verhagelte uns ein Wolkenbruch die ansonsten trotz wechselhaft-kühlen Wetters trockene Fahrt und füllte die Boote binnen kurzer Zeit bis unter die Rollschienen mit Wasser. Spektakulär war der Abschluss mit der Einfahrt nach Danzig, mit einer Runde um den Hafen, vorbei an Werften und riesigen Ozeanschiffen. Dabei mussten wir einige große Wellen abreiten und konnten froh sein, dass wir nur mäßig Wasser aufgenommen haben. Über den Seitenfluss Mottlau ging es in die Altstadt und an Danzigs Wahrzeichen, dem Krantor, vorbei zum Endpunkt der Tour, einem Steg, an dem wir die Boote aus dem Wasser nehmen und für den Transport fertigmachen konnten. Empfangen wurden wir von Łukasz‘ Vater, der die ganze Woche für den Landdienst gesorgt hatte. Auf einem Riemenblatt mit Vertiefungen für Schnapsgläser servierte er uns Danziger Goldwasser. Für einen Teil der Gruppe stand am nächsten Tag dann noch eine Stadtführung auf dem Programm.

Die restlichen Polenfahrten in diesem Jahr sind ausgebucht. Allen Interessenten können wir nur empfehlen sich nächstes Jahr rechtzeitig bei Łukasz anzumelden. Die Infos dazu sollten auf der Website veröffentlicht werden.
 

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Rathaus und Kopernikus-Denkmal in Thorn
Übernachtung im Herrenhaus von Ostromecko
Weichsel bei Graudenz
Mittagspause
Die RaB-Teilnehmer an der Tour
Danzig: Vorbei am Krantor