Samstagmorgen. Herbstnebel über dem Zürichsee. Elena hat schon eine Trainingseinheit im Vierer hinter sich. Man muss hier früh auf’s Wasser. Tagsüber ziehen Fährschiffe eine kurzwellige Dünung durch den See, die einem das Rudern verleidet.
Nach ihren Starts und Erfolgen in Cambridge (www.ruderklub-am-baldebneysee.de: „The Boat Race ….“, Bericht vom 19.04.2022) hatte Elena 2023 das Masterexamen in Maschinenbau/Luftfahrttechnik abgeschlossen und dann die Chance erhalten, an der nicht minder renommierten ETH in Zürich zu forschen und zu promovieren (für die, die es genauer wissen wollen: Verhalten von Metalloxyden bei der Herstellung von Olefinen). Ich treffe sie im Belvoir Ruderclub, für den die 23Jährige seit ihrem Umzug von Cambridge vor einem Jahr rudert. Belvoir - das heißt „Schöne Aussicht“. Wenn der Nebel nicht wäre, sähe man, warum: der weite See, die Alpen, die Züricher Altstadt.
Elena wohnt noch keine 36 Stunden in Zürich, da sieht man sie schon am Bootshaus. Untergebracht im Südflügel eines Gebäudekomplexes von 1930, der 7 Rudervereine umfasst und wie eine Art Ruder-Sanssouci in Innenstadtnähe am Ufer des Sees liegt www.belvoir-rc.ch. Sie findet eine internationale Trainingsgruppe von gut 20 Frauen vor. Darunter Ruderinnen des Schweizer Nationalkaders, aber auch sog. Freshies. Talentierte Sportlerinnen, die dort ein spezielles Auswahl- und Trainingsprogramm durchlaufen und binnen weniger Monate zu leistungsstarken Ruderinnen ausgebildet werden. Die Belvoirerinnen. Ihr Ziel für 2024: Titelverteidigung. Elena gefällt‘s hier. Sie nimmt das Training wieder auf („Nicht ganz so hart wie in Cambridge: nur 8x anstatt 12x pro Woche.“).
Wenig später greift Elena erst einmal beim Rösti-Cup (sprich: rröösch-ti kupp) ins alpenländisch Regattageschehen ein. 10 Frauen- und Männerachter fahren jeweils gegeneinander. 6,5 km über den Neuchâteler See. Rösti deshalb, weil man nicht nur gegeneinander, sondern mit der Aussicht auf einen fröhlicher Rösti-Schmaus nach dem Rennen rudert. Für die Frauen geht es zusätzlich darum, vor den zeitlich versetzt gestarteten Männern die Ziellinie zu überqueren. Elena‘s Crew gewinnt die Frauenkonkurrenz, wird aber von den Männern des eigenen Clubs überholt. Ein passabler Beginn.
Nicht alle Ruderinnen in Elena’s Truppe sind Schweizerinnen. Allein in der Schweiz werden bekanntlich 3 Sprachen gesprochen. Heute Morgen, beim Training im Vierer, hat der Trainer die beiden Bug-Ruderinnen aus den USA und aus Litauen in Englisch korrigiert. Eine deutschsprachige Schweizerin und Elena (mit franz.-bilingualem Abitur) pusht er in seiner Muttersprache Französisch. Beim gemeinsamen Frühstück nach dem Training herrscht Schwiizertüütsch vor. Elena versteht inzwischen das meiste. Und das Sprechen? „Wird scho no wärde.“ Sie hat mindestens 3 Jahre in Zürich eingeplant. Als Assistentin am Institut für Maschinenbau und Verfahrenstechnik verdient sie hier ihr erstes Geld, u.a. mit Vorlesungen.
Traditionsgemäß werden die Schweizer Meisterschaften auf dem Luzerner Rotsee ausgetragen. Schicksalsort ungezählter Ruderkarrieren und wohl deshalb zum „Göttersee“ des Rudersports verklärt. Ende Juni ist es so weit. Elene sitzt im ersten Belvoir-Achter, der sich über den Winter und die Rennen im Frühjahr formiert hat. In einem Feld von 6 Achtern fahren Elena & Co einen zu keiner Zeit gefährdeten Sieg heraus. Belvoir ist so stark, dass der zweite Achter mit Bronze auch noch auf dem Treppchen steht.
Damit aber nicht genug. Ihre ruderische Vielseitigkeit zeigen Elena und drei weitere Ruderinnen aus ihrem Achter dann im Doppelvierer. Hier haben sie es mit einem 9 Boote-Feld zu tun. Sportlich erweisen sich Vorlauf und Finale als eine größere Herausforderung. Gegen den Vierer des Seeclub Luzern, besetzt mit Ruderinnen aus dem Nationalkader, ist trotz einer fulminanten Startphase auch im Finale nichts auszurichten. Das Boot des RC Erlenbach, der tags zuvor seinen Vorlauf eindrucksvoll gewonnen hatte, kann in einem harten Rennen um Silber schließlich mit einer Länge in Schach gehalten werden.
Elena muss jetzt schnell weg. Am Sonntag wird sie zur Abwechslung mal einen Halbmarathon in Lausanne laufen. Im Gehen verrät sie mir noch: Ihr Bruder Tassilo trainiert auch wieder. Für einen Platz im Oxford-Achter und einen Sieg beim Boat Race 2025, dem Klassiker gegen Cambridge.
Bericht: Stephan von Petersdorff
Fotos: Elena von Müller, Noah Dal Ben (Clubhaus)