Rudern in Indien

| Breitensport

Ein altehrwürdiger Klub und Umweltprobleme von heute: Bei einer beruflichen Reise in die indische Stadt Pune konnte ich das Rudern in Indien ausprobieren.

Bericht von Helmut Janus

Die westindische Stadt Pune ist in Deutschland durch Osho bekannt, früher auch Bhagwan oder einfach Sex-Guru genannt. Der Meister ist zwar lange tot, aber immer noch sieht man orange gekleidete Ausländer in Pune. Heute pilgern aber überwiegend Vertreter der deutschen Automobilindustrie in die Stadt. In den letzten Jahren haben nicht nur VW und Mercedes sich hier niedergelassen, sondern auch viele Zulieferer. Leider gehöre auch ich zu der zweiten Gruppe.

 

Der Flugplan hatte mir die Ankunft um vier Uhr morgens und damit fast einen Tag zum Erkunden der Stadt beschert. Auf dem Stadtplan hatte ich nicht weit von meinem Hotel den „Royal Connaught Boat Club“ entdeckt. Das hat mich neugierig gemacht und so bin ich einfach in das Clubgelände gegangen. Zwei freundliche Damen an einem Empfangstresen haben mich gleich zum Execurtive Secretary geschickt, der mir bei einer Tasse Tee den Club vorgestellt hat. 1868 von Engländern gegründet ist der Club heute ein Gesellschaftsverein für indische Manager und deren Familien. Das Clubgelände bietet den 3000 Mitgliedern einen Swimming Pool, Tennisplätze, eine Gymnastikhalle, Fitnesscenter, ein Restaurants und mehrere Bars. Ach ja, gerudert wird auch noch. Bei einem Rundgang wurden mir die Boote gezeigt, zwei Renneiner und ein Renn-Doppelzweier, dazu Kanus, Angelboote und ein paar nicht mehr fahrbare Oldtimer.

Der zum Rudern noch erforderliche Fluss war nicht ganz so leicht zu finden. Wie ich später erfahren habe, gab es hier einmal die einzige gerade 2000-Meter-Strecke auf einem natürlichen Gewässer in Indien. Das ist aber Jahrzehnte her. Die Ausdehnung der Stadt und die Industrialisierung haben den Wasserstand sinken lassen. Außerdem ist zurzeit die heiße Jahreszeit. Erst in ca. sechs Wochen setzt der Monsun ein, der die Flüsse wieder ansteigen lässt. Das verbleibende Wasser ist eine stinkige Brühe. Trotzdem berichtete mir mein Gastgeber, dass morgens um sieben Uhr gerudert werde. Angesichts von Tagestemperaturen um die 40 Grad ist das verständlich. Ich könne gerne vorbeikommen.

So war ich dann am nächsten Morgen nach einer kurzen Fahrt mit einem Tuktuk-Dreiradtaxi wieder im Club. Dort musste ich erst einmal den Gastbeitrag von 100 Rupien oder 1,50 Euro bezahlen. Dann empfing mich Dr. Vishwas Yewale, der Leiter der Ruderabteilung. Er ist auch Yoga-Lehrer und hatte einen Kurs zu betreuen. So hat er mich an zwei freundliche Helfer weitergereicht, die mir einen Renneiner durch eine vermüllte Wiese zum Mini-Steg getragen haben. Das Boot stellte sich als alt, aber mit einem Paar Croker-Skulls als gut fahrbar heraus. Die erste Herausforderung war durch eine Reihe dichter Wasserpflanzen den offenen Fluss zu erreichen. Dann öffnete sich ein befahrbares Stück des Flusses von ca. zwei Kilometern. Ich hatte vorher den Hinweis bekommen, dass ich bloß nicht zu hart ziehen sollte, da überall Pflanzen und Plastikabfälle im Wasser schwimmen würden. An den Rat habe ich mich gehalten, da ich auf ein Bad im Fluss gut verzichten konnte.

Eigentlich geht der Fluss mitten durch eine Millionenstadt. Von der ist aber nicht viel zu sehen. Die Flussufer sind durch Zäune abgegrenzt. Es gibt keine Promenaden oder Uferwege, vermutlich auch wegen des schwankenden Wasserstands. Nach mir ging noch einer meiner Helfer in einem Einer aufs Wasser. Er sollte wohl auf mich aufpassen. Ansonsten war es menschenleer, nicht nur auf dem Wasser, sondern auch an den Ufern. Überall gab es eine üppige Vegetation, so dass ich mich eher wie im Urwald gefühlt habe. Dazu trugen auch zahlreiche exotische Wasservögel bei, deren Namen ich leider nicht kenne. Auf der einen Seite der Ruderstrecke lag ein Wehr, auf der anderen wurde der Fluss immer enger, so dass ich einige Male hin- und hergefahren bin. Nach indischem Verkehrschaos und der hektischen Stadt habe ich mich wie in einer anderen Welt gefühlt.

Nach dem Anlegen waren wieder meine freundlichen Helfer zur Stelle und haben das Boot getragen. Dr. Vishwas war mit seinem Yoga-Kurs fertig, und so haben wir noch auf der Terrasse zusammen gesessen und Tee getrunken. In nur einer Viertelstunde hat er mir die Geschichte des Ruderns in Pune, seine eigene Lebensgeschichte und seine Lebensphilosophie erläutert. 57 Jahre alt, drahtig und topfit, rudert er seit über 40 Jahren und hat zahlreiche Ruderer ausgebildet. Die Bedingungen haben sich aber so sehr verschlechtert, dass kaum noch neue Leute mit dem Rudern beginnen. Indien hat zahlreiche heilige Orte, zu denen Pilgerreisen unternommen werden. Als Umweltschützer hat er eine 400 Kilometer lange Reise mit Kanus unternommen um für den Gewässerschutz zu werben. Trotz des beklagenswerten Zustands der Flüsse strahlt er Optimismus aus und ist überzeugt, dass sich die Situation langsam wieder besser wird. Neben dem Rudern betreibt er seit vielen Jahren Yoga und hat mir ein von ihm verfasstes Yoga-Buch geschenkt. Darin sind nicht nur praktische Übungen erklärt, sondern er breitet auch seine Philosophie vom ganzheitlichen naturverbundenen Leben aus.

Die indische Tourismusbehörde wirbt mit dem Slogan „Incredible India“. Das ist insofern absolut richtig, als man in Indien immer wieder auf unglaubliche Widersprüche und Überraschungen stößt. Der ehrwürdige Royal Connaught Boat Club ist ein Wirtschaftsunternehmen, und bei meinem freundlichen Empfang ging es durchaus darum, meine Firma als Kunden zu werben. Aber es gibt auch unglaublich herzliche und interessante Menschen. Ich bin jedenfalls dankbar, dass ich durch das Rudern ein so besonderes Erlebnis hatte. Bei meiner nächsten Reise werde ich bestimmt wieder meine neuen indischen Ruderfreunde besuchen.

 

 

 

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